Sagenhafte Spurensuche
auf der Seidenstraße
Wo einst die Karawanen zogen
Badische Neueste Nachrichten, Reise
Ausgabe vom 8./9. Mai 2010
Das komplette Manuskript des Beitrags mit Fotos von Alexander Werner
Den Artikel verfasste ich nach Eindrücken und Erfahrungen einer eigenen Reise auf der chinesischen Seidenstraße mit nicht-autonomen tibetischen Hochland. Dieser turbulenten Info-Tour, die eine weniger geraffte Standpunkte-Leserreise vorbereitete. In gleicher Weise erfolgten dann ergänzende Seidenstraße-Reisen nach Usbekistan.
Wenn Sie von der Stadt Urumqi hoch ins Himmelsgebirge fahren, erleben Sie eine Überraschung. Umringt von schneebedeckten Gipfeln erstreckt sich vor Ihnen der malerische Himmelssee. Unwillkürlich fällt Ihnen der bayerische Königssee ein. Ein prachtvolle Kulisse – aber die einzige, die solch heimisch vertraute Gefühle weckt. Denn Sie befinden sich keineswegs in den Alpen, sondern in der weit nordwestlich gelegenen Provinz Xinjiang auf einer Reise entlang der alten chinesischen Seidenstraße. Der Name allein birgt Geheimnisvolles, Sagenumwobenes und Faszination in sich.
Von Kashgar ganz im Westen, über Urumqui, Turfan, Dunhuang, Jiayuguan, Lanzhou und Xining bis zur alten Kaiserstadt Xian mit der Terrakotta-Armee können Sie auf einer Strecke von bis zu 4000 Kilometern eine Vielfalt der unterschiedlichsten Kulturen und Landschaften erleben. Haben Sie eben noch die frische Gebirgsluft genossen, so bestaunen Sie wenig später in Turfan Relikte versunkener Wüstenstädte oder bekommen, wenn Sie dies möchten, in den hohen Dünen von Dunhuang zwischen den Höckern eines Kamels ein wenig vom Flair der Karawanen mit, die schon vor Christus auf der einst beschwerlichen und gefährlichen Route von Xian bis ans Mittelmeer unterwegs waren und das wirtschaftliche und kulturelle Band zwischen Ost und West knüpften. Wunderbare, wenngleich meist karge Landschaften ziehen an Ihnen vorbei, der in eine illustre Gebirgskulisse eingebettete südlich von Kashgar im Kirgisischen Autonomen Gebiet Kizilsu gelegene Karakulsee, schier endlose Steppen, Wüsten, schroffe Gebirgszüge und dazwischen fruchtbare Oasen, in denen Städte wie Urumqui, Dunhuang oder Turfan gewachsen sind, und nicht zuletzt das tibetische Hochland.
Der deutsche Geograf Ferdinand von Richthofen gab der „Seidenstraße“ im 19. Jahrhundert ihren Namen, wobei eine sinngemäße Bezeichnung für dieses oft hart umkämpfte Netz von Karawanenstraßen schon in Byzanz gebräuchlich war. Ihre wirtschaftliche Bedeutung verlor die Seidenstraße bereits in der frühen Neuzeit, als der Handel per Schiff die Karawanen verdrängte.
Mit den Waren fand auch der Buddhismus seinen Weg nach China und Japan. Die Zeugnisse seines Vordringens gehören neben den uralten Stadtruinen entlang der Wüsten Taklamakan und Gobi zu den eindrücklichsten touristischen Attraktionen. Weltberühmt und Teil des Weltkulturerbes etwa sind die Mogao-Grotten bei Dunhuang mit ihren grandiosen Schätzen, Tonstatuen, Wandmalereien und den zweit- und drittgrößten Buddha-Statuen der Welt. Ein unvergessliches Erlebnis wartet unweit von Lanzhou, wenn man vom Bus aufs Boot umsteigt.
Denn die Berge und Schluchten am Gelben Fluss faszinieren in ihrer exotischen Schönheit. Homogen fügen sich in diese pittoreske und bizarre Welt die Bingling-Grotten ein, die zu den schönsten Zeugen alter chinesischer Kultur und früher buddhistischer Einflüsse zählen. Wie dieser Glaube noch heute nach uralten Bräuchen praktiziert wird, erfährt man in den wichtigen tibetischen Klöstern Labrang, Bingling und im nahe des Geburtsorts des Dalai Lama gelegenen Kumbum bei Xining. Schon befindet man sich in der weitläufigen ethnisch tibetischen Region Chinas, die nicht zum autonomen Gebiet gehört und so ein Zankapfel zwischen Exil-Tibetern und der Volksrepublik bleibt.
Welch ein Kontrast dagegen bietet das islamisch Kashgar in der autonomen Region Xinjiang Uighur im äußersten Nordwesten. Der Besuch der Stadt zählt zu den Höhepunkten der Reise, wegen ihres in seiner Größe und Ursprünglichkeit in Asien einzigartigen Basars und der zuweilen fast mittelalterlich anmutenden orientalischen Atmosphäre. An diesem einstigen Kontenpunkt der alten Seidenstraße hat sich das selbstbewusste Turkvolk der Uighuren seinen alten Lebensstil bewahrt.
China ist sich des touristischen Wert der Seidenstraße wohl bewusst, auch deswegen wurden viele Sehenswürdigkeiten und Kulturschätze restauriert und archäologische Bemühungen gefördert. Am Jiayuguan-Pass kann man sogar je nach Standpunkt des westliche Ende oder den Anfang der Großen Mauer besichtigen und eine interessantes Museum zur Geschichte des ganzen Bauwerks besuchen. Aber schon zu Beginn der Reise bekommt man eine Ahnung davon, dass am Ende bei allen touristischen Attraktionen doch die hautnahe Begegnung mit den Menschen unterschiedlichster Völker und Kulturen tiefen Eindruck hinterlassen und unvergesslich bleiben wird.
Die chinesische Seidenstraße verspricht reichlich außergewöhnliche Erlebnisse und Abenteuer. Die kann der Reisende heute ohne Gefahren und Entbehrungen genießen. Damit die Tour mit Einreise über Peking nicht zu anstrengend wird und keine wesentlichen Einschnitte im Programm nötig werden, empfiehlt sich eine Reisedauer von etwa 17 Tagen am besten im Frühling oder Spätsommer an. Müssen neben erstklassigen Hotels dann und wann auch etwas einfachere Unterkünfte genügen, so erhöht dies eher den Reiz, als dass es das Wohlbefinden trüben würde. Auch die Verpflegung ist gut und abwechslungsreich.
Gut erschlossen ist mittlerweile die Infrastruktur, neben Busfahrten bieten sich jedoch Flüge und in solchen Regionen stets spannende Zugfahrten an. Und wer in den Bann der Seidenstraße geraten ist, den wird es alsbald nach einer Fortsetzung in Usbekistan gelüsten, ins das Land von „1000 und einer Nacht“ mit seinen legendären alten Handelsstädten Samarkand und Buchara.